Schade, dass Onkel Rudi das nicht mehr erleben kann. Nach dem Spielplatzwärter, der in den 1980er Jahren den Platz an der Markusstraße in der Hamburger Neustadt beaufsichtigt hat, ist der neue Inklusionsspielplatz benannt, der am 10. Mai 2019 feierlich eröffnet wurde. Ein Jahr Bauzeit, mehr als sieben Jahre Planungszeit und viele Ideengeber*innen machen den Spielplatz zu einem besonderen Modellprojekt. Das Ergebnis ist der Beweis, dass sich gute Zusammenarbeit zwischen Förderverein, Architekturbüro und Fachamt lohnt und dass etwas Außergewöhnliches machbar ist. Die Verantwortlichen haben an ihrer Idee über all die Jahre festgehalten, haben unermüdlich Geld für dieses besondere Projekt gesammelt – am Ende sind es 250.000 Euro, die Hälfte des Gesamtbudgets. Den Rest steuerten das Fachamt und die Bezirksversammlung des Hamburger Bezirkes Hamburg-Mitte bei. „Diese Geräte gibt es nicht im Katalog“, sagte Bezirksamtsleiter Falko Droßmann bei seiner Eröffnungsrede. Und: „Der 140. Spielplatz in Hamburg Mitte soll ein Vorbild für die 139 anderen sein“.
Inklusion – ein Thema, das auf den Spielplätzen im Norden immer noch sträflich vernachlässigt wird. Kinder leben sie. Sie machen keinen Unterschied, ob das Kind neben ihnen im Rollstuhl sitzt oder sehbeeinträchtigt ist. Nirgends wird das so deutlich, wie auf dem Spielplatz Onkel Rudi. Kaum sind die letzten Worte der Eröffnungsrede gesprochen, erobern sie ihren neuen Spielraum. Den kleinen Hügel zur Rutsche hoch, rauf aufs Karussell oder aufs Trampolin. Alle. Die Spielgeräte sind alle gut erreichbar, jedes ist für mehr als ein Kind ausgelegt.
Die Planung fußt auf einer intensiven Kinderbeteiligung und auf den Ratschlägen von Verbänden wie dem Blindenverein Hamburg. „Der Spielplatz soll Modellcharakter haben“, sagt die verantwortliche Landschaftsarchitektin Susanne Brehm vom Büro Die Landschaftsarchitektinnen. Sie hätten viel getestet, was funktioniert, hätten den Austausch gesucht, erzählt sie. Die Spielgeräte – Schaukeln, ein Karussell, Trampoline, Rutsche, Wippe und Kletteranlage – wurden dann nach ihren individuellen Wünschen angefertigt. Markierungen auf dem Boden und starke Farben der Geräte und des Fallschutzbelages helfen Sehbeeinträchtigen, sich zurecht zu finden. Sie habe viel über Kontraste und deren Einsatz zur Orientierung gelernt, erzählt Brehm. Der passende Untergrund – synthetischer Fallschutz (EPDM) und Pflaster – ist für Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfahrerinnen bequem befahrbar.
Keine speziellen, auffälligen Geräte, keine neuartigen Areale – verwundert blickt sich am Eröffnungstag so mancher Besucher um und ist erstaunt. Das sei doch auch ein Spielplatz für Beeinträchtigte, fragt einer. Der sehe aber gar nicht so aus. Mehr Lob könnte Susanne Brehm nicht bekommen. Die Inklusionsmaßnahmen fallen nicht auf – und das sollen sie auch nicht. Das betont auch Rollstuhlfahrer David Lebuser: „Am wichtigsten ist, dass alle zusammen spielen können. Dass es keinen Spielplatz nur für Rollstuhlfahrer*innen gibt.“ Im Anschluss schließt er sich den zahlreichen Kindern, die zur Eröffnung erschienen sind, beim Spielen an – und zeigt was geht. Wie selbstverständlich fährt er mit Karussell, jagt mit seinem Rollstuhl neben den rennenden Kindern den Hügel zur Rutsche hinauf und klettert sogar auf die große Holzanlage – ohne Rollstuhl. Eine Mutter sagt dann den wohl bedeutendsten Satz an diesem Tag: „Wir unterschätzen sie.“ Er ist so bedeutend, weil er das Problem klar benennt. Menschen mit Beeinträchtigung werden in eine Ecke gestellt, unterschätzt, als besonders hilfsbedürftig behandelt. Es ist der Grund, warum wir uns mit Inklusion immer noch so schwertun.
Vor vielen Jahren tobten die Kinder der Kita Markusstraße über ihren Spielplatz – nur ein Kind stand unbeteiligt daneben und konnte lediglich beobachten. Damit sollte Schluss sein, beschlossen ein paar Mütter damals. Die Initiative war geboren. Sie haben es geschafft. Jetzt muss kein Kind mehr am Rand stehen. Onkel Rudi wäre sicher stolz auf seinen neuen Spielplatz.